„Weight Watchers“ im Bullenstall

weight_watchers_1
Bullenmast. VION reagiert konsequent auf verändertes Kunden- und Verbraucherverhalten und empfiehlt den Landwirten, das ideale Schlachtgewicht für Jungbullen zu drosseln.
Denn die dickleibigen, über 440 Kilogramm schweren Rinder liefern zu große Fleischstücke, um auf den europäischen Märkten konkurrenzfähig zu sein.
Mit der Mode ist das so eine Sache. Manchmal fällt gar nicht ins Gewicht, in welchen Größen Ware in den Handel kommt. Die passende Kundschaft findet sich immer. Ganz anders ist das bei Rouladen. Oder Steaks. Mit 200 Gramm geben Filet-, Hüft- oder Rumpsteaks europaweit die beste Figur ab. Das zeigt die Nachfrage in der Gastronomie und Handel. 30 – 9 – 0,8 gilt als ideales Body-Maß (in Zentimeter) für ein Stück Oberschale, das – gefüllt mit Gurken und Speck oder Weinblätter und Hack – nicht nur auf deutschen Speisekarten weit oben steht.

bild_1_72dpi
Die Basis für Form und Farbe von Rib Eye, Entrecote & Co. legen die Mäster in ihren Ställen und die Fleischverarbeiter in ihren Betrieben. Innerhalb welcher Zeit erreichen Jungbullen ihr ideales Schlachtgewicht? Wie viel Fett setzen sie dabei an? Und wie schwer sollten sie überhaupt sein, bevor sie aus der Kategorie „Jungbullen“ herauswachsen?

„Heute entspricht ein Schlachtgewicht der Jungbullen zwischen 340 und 439 Kilo den aktuellen Anforderungen von Kunden und Verbrauchern“, erklärt Jürgen Lieb, Deutschland-Einkäufsleiter „Großvieh/Lebendvieh Rind“ für VION am Standort Buchloe. „Wer da an Denkmuster der Sorte
,Die Masse macht’s‘ festhält, produziert am Markt vorbei.“ Nicht zuletzt die Wirtschaftskrise in den für Süddeutschland wichtigen süd- und südosteuropäischen Märkten sorgt dafür, dass vergleichsweise teures Rindfleisch zu den ersten Opfern der Finanzkrise zählt. Stehen in Metzgereien zwischen Athen und Ancona hin und wieder doch noch Tournedos und Chateaubriand auf dem Einkaufszettel der Verbraucher , greifen diese gern zu Ware aus Frankreich oder Polen. Bei Preisunterschieden bis zu einem Euro pro Kilogramm Schlachtgewicht wird deutsches Rindfleisch zurzeit schnell zum Ladenhüter – quasi zum „Sitting Bull“ der Fleischtheke.
„Angesichts solcher Preisstände gegenüber EU-Wettbewerbern kann es nicht verwundern, dass der Absatz von Rindfleisch aus Süddeutschland in unseren klassischen Exportländern in den vergangenen Monaten stark eingebrochen ist“, bestätigt Erik Schöttl den Trend. „Konkret“, so der Leiter der Rindfleischbetriebe der VION FOOD Group in Deutschland, „um bis zu 40 Prozent.“ Eine Entwicklung, die auch am Erzeugerpreis nicht spurlos vorbeigeht.
„Da wollen wir von VION rechtzeitig und umsichtig reagieren, um den Absatz deutscher Jungbullenmäster aufrechtzuerhalten“, so Jürgen Lieb. „Vor allem mit Blick auf die internationale Konkurrenz sind unsere in Deutschland produzierten Schlachtkörper zu schwer“, erklärt der Einkaufchef, warum „wir gemeinsam mit unseren Erzeugern das Rad wieder zurückdrehen müssen. Denn denen wollen wir auch in Zukunft die gewohnt hohen Preise zahlen können, die sie einfach brauchen.“

bild_2_72dpi
Tatsächlich sind die Schlachtgewichte den Branchenbeobachtern vom Landwirtschaftlichen Wochenblatt zufolge in den vergangenen zwanzig Jahren über alle Handelsklassen hinweg um durchschnittlich 40 Kilogramm gestiegen. Im Top-Segment der Klassen E und U sogar um bis zu 63 Kilo. „Doch aus zu mächtigen Fleischpartien lassen sich appetitliche Portionen, wie sie die Verbraucher – quasi mundgerecht – gern verzehren nicht herausschneiden“, so Lieb. In der Konsequenz seien viele Teilstücke von Jungbullen mit Schlachtgewichten jenseits von 440 Kilogramm für die meisten Verbraucher einfach „zu schwer, zu groß, zu teuer“.
Dabei gilt „Beef made in Germany“ im Ausland fast schon als Gütesiegel und genießt ein herausragendes Prestige. Dass aber auch die anerkannt hohen Rindfleischqualitäten nur noch unter erheblichen Preisabschlägen zu verkaufen sind, beobachtet VION-Verkaufsleiter Rind Willi Habres, „nicht nur im europäischen Ausland, sondern auch vor unserer Haustür“. De facto werden deutsche Rindfleischerzeuger mit einem ohnehin schon hohen Selbstversorgungsgrad ihres Heimatmarktes von 100 Prozent so gleich von zwei Seiten in die Zange genommen: vom Nachfrage-Einbruch ihrer Exportkundschaft und von der schnellen Neuausrichtung ihrer internationalen Konkurrenz.
„Wenn die Auslandsmärkte auch für unsere Wettbewerber verstopfen, wenden die sich naturgemäß ganz schnell dem deutschen Verbraucher zu.“ Diesen attraktiven Absatzmarkt wird VION im Interesse seiner Erzeuger nicht aufgeben. „Statt zuzusehen, wie sich Handel und Verbraucher zwischen Flensburg und Füssen mit billiger Ware aus den europäischen Nachbarländern eindecken, tun wir alles, um das Preisniveau in Deutschland hochzuhalten“, sagt Lieb. Und dazu zählt ein verstärktes Weight Watching im Jungbullenstall. „Ob im Lebensmitteleinzelhandel oder im Food Service – unsere deutschen Kunden verlangen Schlachtgewichte beim Jungbullen von unter 440 Kilo.“

weight_watchers_2
Für Jürgen Lieb, VION-Chefkoordinator Rindfleisch steht fest: „Schwergewichtige unter den Jungbullen werden immer schwieriger zu verkaufen sein.“

Vor allem der Handel drängt darauf, das für die Kategorie „Jungbulle“ zulässige Schlachtalter von zwei Jahren nicht auszuschöpfen, da ein früheres Schlachtalter der Tiere großen Einfluss auf Zartheit und Farbe des Fleisches hat. „Auch darum setzen wir auf ein niedrigeres Schlachtgewicht“, erklärt Erik Schöttl.

„Beef made in Germany“ gilt im Ausland fast schon als Güteziegel und genießt ein herausragendes Prestige.

Neben der rein betriebswirtschaftlichen Rechnung, die für  Erzeuger von Schlachtkörpern unter 440 Kilogramm völlig neutral ausgeht, sind es für VION vor allem die Märkte, die eine Korrektur der Schlachtgewichte „dringend und sinnvoll erscheinen lassen“, so Erik Schöttl. „Wir müssen die Ware produzieren, die der Kunde verlangt. Anders gesagt: Auch um unsere Erzeuger zu schützen, nehmen wir das Verbraucherverhalten und die Forderungen von Lebensmitteleinzelhandel und Foof-Service-Unternehmen sehr ernst.“

Quelle: ProAgrar Ausgabe 20 Süd / Juni 2013
Ein Bericht von Thomas van Zütphen